„In Berührung mit einer professionellen Musikwelt“ – mica-Interview mit DIANA ROTARU

Im Rahmen seines Artists-in-Residence-Programms stellt das BUNDESKANZLERAMT in Kooperation mit KULTURKONTAKT AUSTRIA ausländischen Kulturschaffenden Stipendien zur Verfügung. Von April bis Juni 2015 ist die rumänische Komponistin DIANA ROTARU zu Gast in Österreich. Christian Heindl im Interview mit der Künstlerin zu ihren bisherigen Erfahrungen. 

Diana Rotaru, Sie wurden als Composer in Residence des Bundeskanzleramts und von KulturKontakt Austria von April bis Juni 2015 nach Österreich eingeladen. Wie sind Sie zu diesem Stipendium gekommen?

Diana Rotaru: Ein befreundeter Komponist, der völlig begeistert von der Szene der Neuen Musik in Wien ist, hat mich auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht. Daher habe ich darum angesucht und war äußerst glücklich und geehrt, als ich ausgewählt wurde. Insbesondere auch, weil ich schon seit Längerem eine Stück für das Green Thing Ensemble, das aus Wien kommt, schreiben wollte. Daher erschien mir das als eine perfekte Gelegenheit, um dieses Projekt realisieren und mit den Ausführenden arbeiten zu können.  

Was waren für Sie darüber hinaus die interessantesten Aspekte, um nach Österreich zu kommen? Inwieweit hatten Sie vorab Kenntnisse über die österreichische Musikszene und persönliche Kontakte?

Diana Rotaru: Ich war zuvor noch nie in Österreich gewesen und hatte zugegebenermaßen nur sehr wenig Ahnung davon, wie die Szene der zeitgenössischen Musik hier tatsächlich aussieht - abgesehen natürlich von den Aktivitäten der international bekannten VIPs wie von Beat Furrer, Georg Friedrich Haas, Bernhard Lang und Olga Neuwirth oder von Ensembles wie dem Klangforum Wien und dem Ensemble Kontrapunkte. Daher war ich sehr neugierig darauf, herauszufinden, wie sich eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Wiege der Avantgarde entwickelt hat, insbesondere nach einer Präsentation über die junge Komponistengeneration hier, die Matthias Kranebitter beim Festival für Neue Musik Timsonia in Timişoara im Oktober 2014 gehalten hat. Das war ein kurzer Einblick in ein sehr erfrischendes und spannend klingendes Abenteuer, von dem ich hier mehr zu finden hoffe, vor allem beim Unsafe & Sounds Festival im Juni.

Es ist sehr motivierend, in Berührung mit einer professionellen Musikwelt sein zu können, einem riesigen Mechanismus, in dem jedes kleine Rad und jede Schraube geölt und auf Perfektion eingestimmt ist; nur um ein Beispiel zu geben: etwa das von Bas Wiegers dirigierte Konzert des Klangforums Wien am 8. April im Konzerthaus, bei dem brillante Musik von Toshio Hosokawa und Unsuk Chin erklang. Aus der Sicht einer Komponistin ist es manchmal ziemlich frustrierend, sich mit mangelnden Probenzeiten, Desinteresse und anderen unangemessenen Konzertsituationen auseinandersetzen zu müssen. Daher ist es ein wirklicher Genuss, so erstklassige Professionalität wahrnehmen zu können.

Eine Zwischenbilanz nach ihrem ersten Monat in Österreich bzw. Wien: Ist die Situation der zeitgenössischen Musik im Vergleich zu Rumänien ziemlich ähnlich oder gibt es große Unterschiede in der Szene?

Diana Rotaru: Natürlich bestehen Unterschiede. Zuerst einmal gibt es von Land zu Land oder von kulturellem Zentrum zu kulturellem Zentrum immer Unterschiede des ästhetischen Standpunkts, was ich für sehr gut halte: Ich schätze Vielfalt in der Neuen Musik sehr und halte es für sehr gut, dass wir heute viel mehr Freiheit haben, Stilmittel und Einflüsse aufzunehmen, als vor einem halben Jahrhundert. Es kann ziemlich frustrierend sein, wenn ein wenig „totalitäre", „intolerante" Regime in Fragen des musikalischen Geschmacks auftreten - die gute alte Schlacht zwischen „Modernisten" und „Traditionalisten". Aber das ist heute ziemlich selten geworden und nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, in Wien nicht der Fall. Ich denke, hier kann man mehr Freiheit in Bezug darauf finden, was in der Musik „richtig" ist und was nicht, so wie bei den performativen oder theatralischen Aspekten. Beispielsweise könnte so etwas wie das Wiener Black Page Orchestra in Rumänien derzeit sicherlich nicht existieren, obwohl wir uns seit einigen Jahren auf diesem Gebiet langsam entwickeln und das hoffentlich in der Folge weiter tun werden. Und selbst wenn Musikerinnen und Musiker eher zögern, Gewohnheiten abzulegen, sind sie im Bereich des „Modernismus" aufgeschlossener.

Ich weiß nicht genug über das österreichische Musikschulsystem oder die Vor- und Nachteile der Neue-Musik-Welt hier, aber die bloße Tatsache, dass es so viele musikalische Produktionen gibt und diese so hervorragend ausgeführt, gut beworben und großzügig gefördert werden, ist ein deutliches Zeichen, dass hier ein sehr reicher Boden für Kreativität herrscht. Ich freue mich, dass das moderne Musiktheater bzw. die Oper sehr gut gefördert wird, was zurzeit eines meiner größten Interessengebiete ist. 

Was gibt es an Problemen und an Vorteilen für Komponistinnen und Komponisten im heutigen Rumänien?

Diana Rotaru: Das Hauptproblem ist das Finanzielle: die Tatsache, dass es für eine Komponistin beziehungsweise einen Komponisten praktisch keine Förderung gibt außer der ärmlichen Unterstützung durch den Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler, der von Zeit zu Zeit einige Aufträge vergibt. Ich hatte die Ehre, im letzten Jahr, den Auftrag für eine Kammermusik - „Red Hot"- zu erhalten, die vom Londoner Mercury Quartet uraufgeführt wird. Aber es gibt keine Aufträge von den großen Institutionen oder Ensembles, und zumeist arbeitet eine Komponistin beziehungsweise ein Komponist nicht nur gratis, sondern hat auch noch die Ausführenden, die Aufnahme und so weiter zu zahlen. Die Kosten, eine Komponistin beziehungsweise ein Komponist zu sein, können wirklich ins Substanzielle gehen, wenn man sich im Bereich der Veranstaltungsorganisation bewegt und versucht, neue Plattformen für diese Art von Musik zu kreieren. Um ein Beispiel zu geben: Die erste Ausgabe des InnerSound International New Art Festival, das ich 2012 gemeinsam mit der Komponistin Sabina Ulubeanu und dem Komponisten Cătălin Creţu gegründet habe, wurde zur Hälfte von uns finanziert. Komponistinnen und Komponisten haben daher keine andere Wahl, als sich in das Feld des Unterrichts zu begeben, wo allerdings sogar im akademischen Bereich, in dem ich derzeit arbeite, die Bezahlung gemessen an europäischen Standards sehr niedrig ist. 

Ich führe den Mangel an finanzieller Unterstützung zum Teil auf das allgemeine Desinteresse von Musikerinnen und Musikern bzw. Dirigentinnen und Dirigenten an Neuer Musik zurück. Das geht Hand in Hand mit einem problematischen vorakademischen musikalischen Erziehungssystem, welches das 20. Jahrhundert - vom 21. ganz zu schweigen - wie die Pest meidet. Leider dürfte dieses Problem aber nicht nur in meinem Land existieren. Der Hauptpluspunkt ist das Herzstück der Musik: Wir haben einen riesigen archaischen bzw. traditionellen musikalischen Hintergrund, der uns in den Genen steckt, daher klingt rumänische Musik - egal ob gewollt oder unbewusst - na ja, rumänisch! Ich halte das heutzutage für einen sehr wichtigen Aspekt, wenn man in ein Konzert mit Neuer Musik geht und meistens ein Stück vom anderen nicht unterscheiden kann, geschweige denn die geografische Richtung orten kann, aus der eine Komponistin beziehungsweise ein Komponist kommt. Die Komponistin beziehungsweise der Komponist muss ehrlich sein - sowohl zu sich selbst als auch zum Publikum - und nicht Techniken kopieren oder blind Strukturen anwenden. Folglich wird die Seele dessen, was du schreibst, die Essenz einer Musik, nicht nur spiegeln, wer du bist, sondern auch, woher du kommst. 

In dieser Hinsicht stimme ich vollkommen mit George Crumbs Theorie überein, dass alle Komponistinnen und Komponisten eine Art speziellen akustischen Stempel aufweisen, der von ihrem Geburtsort geprägt ist. Ich spreche mich natürlich keinesfalls für ein willkürliches oder simples Einfügen von „Folklore" in die Musik aus, sondern ich habe schon im Kopf, was die Essenz davon ist. Der Pionier in dieser Hinsicht war George Enescu, der behutsam traditionelle musikalische Elemente geschmolzen und in seine eigene Sprache eingegossen hat. Wie ich schon sagte, meistens kommt das ganz natürlich und muss nicht erst erkämpft werden. Ein anderer relevanter Punkt in Rumänien ist die - zumindest für unser Land - höchst wichtige Avantgarde der 1950er- und 1960er-Jahre, das, was wir die „goldene Generation" nennen: Komponistinnen und Komponisten wie Ştefan Niculescu, Aurel Stroe, Tiberiu Olah, Anatol Vieru und Myriam Marbé. Diese brachten die rumänische Musik auf europäischen Avantgarde-Standard. Das war ein sehr rascher Aufstieg für eine sehr neue musikalische Kultur. Einige von ihnen gingen nach Darmstadt und kopierten Partituren von Hand, während sie ihre eigene Kreativität auf ein Maximum schraubten und versuchten, die „dekadenten okzidentalen Einflüsse" wie den gefürchteten Serialismus, der unter den Kommunisten sehr verpönt war, von ihren Werken fernzuhalten. Was sie getan haben, existiert heute noch, da Generationen ihrer Studierenden anerkannte Kompositionsprofessorinnen und -professoren wurden. Ich hoffe, dass diese wirklich faszinierenden und originären Komponistinnen und Komponisten, die alle von dieser Welt gegangen sind, eines Tages auch auf europäischer Ebene die Anerkennung finden, die sie verdienen - eine Wahrnehmung, die ihnen zu ihren Lebzeiten mangels entsprechender Verbreitung versagt blieb. 

Haben Sie jemals irgendwelche Nachteile als Frau empfunden? Ist Komponist ein eher männlich besetzter Beruf in Rumänien? In Österreich gibt es nach wie vor immer wieder Diskussionen zu diesem Thema. 

Diana Rotaru: Überhaupt nicht, ganz besonders nicht, soweit es mich betrifft. Meine Mutter Doina Rotaru ist ja auch Komponistin, und sie erwähnte gelegentlich einige Probleme während ihrer Studienzeit, aber da seither eine Menge Komponistinnen ihre Zeichen gesetzt haben, macht es heute keinen Unterschied, welchem Geschlecht man angehört. Wesentlich ist ausschließlich, wie gut du als Komponist bist. Die gelegentlichen frauenfeindlichen Bemerkungen, unvermeidlich in einer Balkankultur, kommen ausschließlich aus dem Kollegenkreis und sind vollkommen harmlos.

 Woran arbeiten Sie konkret jetzt während ihres Wien-Aufenthalts? Wird es ein spezielles „österreichisches" Stück geben, und können Sie Ihre aktuelle Arbeit vielleicht auch in einer Aussage zu Ihrem allgemeinen musikalischen Credo verorten?

Diana Rotaru: Wie vorhin kurz angesprochen, ist mein Projekt für diese Residence ein Werk für das Green Thing Ensemble, ein ziemlich neues, erfrischendes und enthusiastisches Quartett großartiger Musikerinnen und Musiker, die alle in Wien leben, aber keine beziehungsweise keiner von ihnen ist Österreicherin beziehungsweise Österreicher! Daraus entsteht, wie ich meine, eine sehr interessante Mischung: Matei Ioachimescu (Flöte) kommt aus Rumänien - er ist der Sohn eines meiner Lieblingskomponisten, Călin Ioachimescu. Natalija Isakovic (Violine) und Ana Topalovic (Violoncello) sind aus Serbien und Alfredo Ovalles (Klavier) aus Venezuela. Das Werk wird „Verde" heißen, was sowohl im Rumänischen wie im Spanischen „grün" bedeutet, wobei die Inspirationsquelle nicht nur der Name des Ensembles ist, sondern vor allem das Gedicht „Romance sonámbulo" von Federico García Lorca. Es wird am 19. Juni im Wiener Brick 5 bei einem „Behind the scenes"-Konzert des Green Thing Ensembles Premiere haben. Die in dem Gedicht enthaltene Mischung aus Sinnlichkeit und einer traumartigen Bildsprache steht in einer tiefen Übereinstimmung mit meinen künstlerischen Erfahrungen der letzten Jahre. Als Komponistin versuche ich mich nach wie vor auf verschiedenen Pfaden, an verschiedenen „Masken" und Techniken. Wenn ich versuchen soll, mich selbst zu analysieren, kann ich doch einige bevorzugte ästhetische Tendenzen orten - am signifikantesten im Moment die Hypnagogie oder einer Art Vor-Traum-Ästhetik, was auch mit dem Thema meiner Doktorarbeit aus dem Jahr 2012 verknüpft ist: „Die letzte Trance: Prinzipien der Wiederholung in der Neuen Musik." Ich interessiere mich für suggestive hypnagogische, tranceartige Ereignisse durch Farben und repetitive Strukturen, aber ohne auf minimalistische Techniken zurückzugreifen. Ich habe mehrere Werke geschrieben, die von diesen Ideen inspiriert wurden, etwa „Hypnos", „Hypnagogia", „enter no silence" oder „Chant du sommeil". 

Ich interessiere mich auch für die Erforschung einiger Bereiche der menschlichen Psyche, sowohl traumatischer Aspekte - Schmerzen, Ängste, Neurosen und so weiter - als auch verführerischer Aspekte verschiedener weiblicher Archetypen, wofür ich vor allem die weibliche Stimme benutze und dabei mit tollen Sängerinnen wie Irina Ungureanu und Anat Spiegel zusammenarbeite.

Ich glaube, dass Komponieren ein wenig paradox ist, es hat eine duale Natur: Es ist einerseits ein extrem intimer und introspektiver Akt, geht aber auch an den Rand des Exhibitionismus, geradezu der Unsittlichkeit, indem man jedes Mal, wenn jemand deine Musik spielt, sein tiefstes Innerstes enthüllt. 

Und um auf die Idee des akustischen Stempels zurückzukommen: Ich bin natürlich auch sehr daran interessiert, die archaische rumänische Musik so weit zu essenzialisieren, bis sie nur als Schatten bleibt - etwa in „Glossolalia" für Violine und Tonband -, aber auch meine eigenen Welten zu erschaffen, eine Art imaginärer Folklore. 


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